Liebe Leser,
gab es im einspeiseseitigen Netzbetrieb jemals so etwas wie ein „Sommerloch“, in Analogie beispielsweise zu einem klassischen BHKW-Jahreseinspeiseprofil, so sind diese Zeiten schon längst vorbei. Eine gesetzliche oder regulatorische Neuerung jagt die nächste – stets flankiert von immer weiter steigenden Zubauzahlen im Bereich der Erneuerbaren. Schaut man, beruflich bedingt, seit vielen Jahren hinter die Kulissen des Netzbetriebs, so muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden, welche beachtliche Leistung hinter der weiterhin bestehenden Zuverlässigkeit unseres Stromsystems steht. Der Dank gebührt den engagierten Mitarbeitenden vom kleinsten VNB bis hinauf zu den ÜNB, die sich hierfür unermüdlich einsetzen.
Ganz im Sinne der „Neuerungsflut“ möchte ich mich heute dem neuesten energiewirtschaftlichen Gesetzentwurf zuwenden, der uns am Ende sicherlich einmal mehr neue Aufgaben bescheren wird.
Es geht dabei um den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Energiebereich, zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften sowie zur rechtsförmlichen Bereinigung des Energiewirtschaftsrechts“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 10. Juli.
Bevor ich dem neuesten geplanten Regelungswerk gleich einen eigenen „Spitznamen“ gebe (vergleiche: „Solarspitzen-Gesetz“), warten wir erst einmal ab, welche Abkürzung sich unter den Rechtsanwendern durchsetzen wird, denn mein Anliegen ist es, für Klarheit zu sorgen und nicht gleich noch vorab zusätzlich Verwirrung zu stiften.
In diesem Sinne lassen wir uns auch überraschen, wie sich die Seitenzahl des Referentenentwurfs von aktuell 225 im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses noch verändern wird. Seit der Mutation der geplanten „EnWG-Omnibus-Novelle“ hin zum „Solarspitzen-Gesetz“ sind wir an dieser Stelle ja schon einiges gewohnt.
Beginnen möchte ich den Einstieg in den Referentenentwurf in diesem Newsletter mit den Themen Energy Sharing und „Beschleunigung des Netzanschlusses“.
Energy Sharing: Der nächste Anlauf
Da es das sogenannte Energy Sharing aus dem im Spätsommer/Herbst 2024 noch geplanten § 42c EnWG im Rahmen der EnWG-Omnibus-Novelle nicht in das am 25. Februar in Kraft getretene Solarspitzen-Gesetz geschafft hatte, lag die Vermutung nahe, dass hierzu dennoch kurz- bis mittelfristig eine gesetzliche Umsetzung anstünde, da das Energy Sharing eine unionsrechtliche Vorgabe umsetzen soll. Diese hätte die Bundesrepublik eigentlich schon bis zum 17.01.2025 in Kraft setzen müssen, wobei aber Details, die an den neu definierten Begriff des Energy Sharing anknüpfen, noch bis zum 17.07.2026 nachgereicht werden dürfen.
Legt man den seinerzeitigen Entwurf zum Thema dem aktuellen gegenüber, so halten sich die Neuerungen sehr in Grenzen.
Blicken wir aber zunächst zurück und verschaffen uns einen schnellen Überblick über die geplanten Rahmenbedingungen des Energy Sharings aus dem letzten Entwurf vom November 2024:
- Nutzung von eigenerzeugtem EE-Strom auch außerhalb der Kundenanlage unter Nutzung des Netzes für die allgemeine Versorgung
- Verträge sind abzuschließen zwischen Betreiber und abnehmenden Letztverbrauchern, die gewisse gesetzliche Mindestvoraussetzungen erfüllen müssen
- Informationspflichten des Betreibers gegenüber den Abnehmern,
- dass die gemeinsam genutzte Anlage den Strombedarf der Abnehmer nicht vollständig und nicht jederzeit decken kann,
- dass ein ergänzender Strombezug durch den Abnehmer notwendig ist und
- dass die Kosten für den ergänzenden Strombezug über den durchschnittlichen Kosten eines Vertrages zur umfassenden Versorgung liegen können.
- Die Belieferung mit Energie darf nicht Haupttätigkeit des Betreibers sein
- Die Erzeugung an der Anlage sowie der Strombezug an jeder belieferten Verbrauchsstelle muss mit einer viertelstündlichen registrierenden Leistungsmessung erfasst werden
- Die Bilanzierung über Viertelstundenwerte ist verpflichtend
- Analog zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung
- Keine Pflicht zur Vollstromlieferung für den Betreiber
- Aber: Ebenso Pflicht zur Festlegung eines Aufteilungsschlüssels
- NNE, Abgaben und Umlagen: Abwicklung über Reststromlieferanten angedacht, auch wenn dieser vom Energy Sharing eher Schaden als Nutzen hat
- Bis Mitte Dezember 2024 geplanter Starttermin: 01.06.2026 innerhalb desselben Bilanzierungsgebiets; ab dem 01.06.2028 innerhalb desselben Bilanzierungsgebiets sowie in dem Bilanzierungsgebiet eines direkt angrenzenden VNB in derselben Regelzone
- Dienstleister können zur Abwicklung eingebunden werden
Betrachten wir nun den aktuellen Entwurf zu § 42c EnWG, so ergeben sich hierzu nachfolgende geringfügige Änderungen:
- Kommunen und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen laut dem aktuellen Referentenentwurf Gesellschafter bzw. Mitglieder einer Energy-Sharing-Einheit sein, was das Energy Sharing in seinen Anwendungsmöglichkeiten erweitert.
- Für die Erzeugungsseite soll ein Zählerstandsgang (15-min-Werte aus einem iMSys) genügen, was gegenüber der klassischen RLM-Messung eine deutliche Kostenersparnis bedeutet. Bei den Abnehmern bleibt es jedoch bei der Verpflichtung zur viertelstündlichen registrierenden Leistungsmessung, was so zunächst nicht nachvollziehbar ist und was so ggf. im weiteren Gesetzgebungsprozess noch angeglichen werden könnte auf den Zählerstandsgang.
- Es erfolgt die ausdrückliche Klarstellung, dass nur 100 %-EE-Speicher am Energy Sharing teilnehmen dürfen.
Wobei es ebenfalls gegenüber dem November-Entwurf bleibt und womit diese wieder in den aktuellen Fokus rückt: Es soll eine gemeinsame VNB-Plattform geschaffen werden, über die unter anderem das Energy Sharing abgewickelt werden soll. Die Festlegungskompetenz soll diesbezüglich bei der BNetzA liegen (§§ 20b Abs. 2 und 3, 29 aus dem aktuellen EnWG-Entwurf).
Im Überblick soll die geplante gemeinsame VNB-Plattform für folgende Anwendungsfälle nutzbar gemacht werden:
- Erstbestellung, Änderung oder Abbestellung von Zählpunktanordnungen (die Gesetzesbegründung irrt nicht, wenn sie anmerkt, dass man in der Praxis doch eher von „Messkonzepten“ spricht!)
- Erstbestellung, Änderung oder Abbestellung von Be- und Verrechnungskonzepten à neben dem Aufteilungsschlüssel zum Energy Sharing auch: gemeinschaftliche Gebäudeversorgung!
- Registrierung von Energy-Sharing-Vereinbarungen
Die BNetzA kann dabei per Festlegung
- weitere Use-Cases hinzufügen oder Details konkretisieren,
- Nutzergruppen (z.B. Installateurbetriebe, Dienstleister, Energiegemeinschaften) ein- oder ausschließen,
- Berechtigungs- und Rollenkonzepte festlegen.
Von welchem zeitlichen Horizont sprechen wir?
Die Plattform muss 12 Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes technisch stehen. Die genannten Pflichtfunktionen müssen ein Jahr später dem Anwender zur Verfügung stehen.
Beschleunigung von Netzanschlüssen: Es geht in die nächste Runde
Auch beim Thema der Beschleunigung von Netzanschlüssen hatten es nur wenige Themen aus der EnWG-Omnibus-Novelle in das Solarspitzen-Gesetz geschafft, wie bspw. flexible Netzanschlussvereinbarungen oder auch das sogenannte Cable Pooling.
Im aktuellen Anlauf versucht es das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nun erneut mit der Vereinfachung und Beschleunigung der Netzanschluss- und Netzzugangsprozesse über die Stellschrauben „Vereinheitlichung und Digitalisierung“.
Das soeben vorgestellte VNB-Portal, das über einen neuen § 20b EnWG etabliert werden soll, begegnet uns in diesem Zusammenhang erneut, da die Marschrichtung sein soll, dass nach und nach der komplette Datenaustausch im Rahmen des Netzanschluss- und Netzzugangsprozesses (inklusive bspw. auch der §14a-Meldungen) über ein zentrales „Über-VNB-Portal“ erfolgt. Diese zentrale Anlaufstelle soll am Ende alle anderen Meldewege ersetzen und so auch dazu beitragen, Mehrfachmeldungen zu verhindern, von denen der ein oder andere VNB ein Lied zu singen weiß. Das einheitliche Web-Portal steht dabei der Mensch-Maschine-Kommunikation offen, als automatisierte Zugangsmöglichkeit soll eine bundesweit standardisierte API-Schnittstelle dienen.
Den Netzbetreibern wird in diesem Kontext vorgeschrieben, einheitliche massengeschäftstaugliche Formate (JSON/XML) bereitzustellen und untereinander auszutauschen, wobei die BNetzA Details per Festlegung präzisieren kann.
Im Ergebnis sollen Antragsteller bundesweit einheitlich zukünftig immer dieselbe Datenschablone ausfüllen müssen, auch wenn sie über das zentrale VNB-Portal zu den Systemen der einzelnen Netzbetreiber weitergeleitet werden, wodurch Rückfragen und Formatfehler in der Theorie entfallen.
Betreiber von EE-Anlagen sollen demnach von klaren, einheitlichen und papierlosen Anschlussverfahren profitieren, wobei die einzelnen Netzanschlussportale der VNB neben dem gemeinsamen Portal für die oben beispielhaft aber nicht abschließend (dies wird in der Gesetzesbegründung betont!) genannten Anwendungsbereiche weiterbestehen dürfen, so sie denn nur untereinander einheitlich und auch über die zentrale Plattform erreichbar sind.
Fassen wir den Gesamteffekt zusammen und fügen die Fundstellen im Referentenentwurf hinzu, so ergibt sich folgendes Bild:
- Die Plattform (§ 20b) soll in Zukunft einen digitalen Eingang für alle Kernprozesse rund um Netzanschluss & Netzzugang bieten – auch für solche Teilnehmer ohne Marktrolle, wie bspw. Anschlussnutzer.
- § 20 sorgt dafür, dass alle Beteiligten dieselbe Datensprache sprechen – Fehlermeldungen und Medienbrüche sollen verschwinden, auch wenn die einzelnen Netzanschlussportale der VNB weiterbestehen.
Beschließen möchte ich das Thema der Beschleunigung von Netzanschlüssen mit der Erwähnung der Neufassung des bisherigen § 11c EnWG, der die auch schon bisher vorhandene Zuordnung der Errichtung von Speichern zum „überragenden öffentlichen Interesse“ unterstreicht. Genehmigungs- und Netzanschlussverfahren für Speicher, insbesondere auch PV-Speicher-Kombinationen, sollen somit eine weitere Beschleunigung erfahren.
Zu guter Letzt
Wer sich bereits im aktuellen Referentenentwurf Neuigkeiten in Form von Klarstellungen zum Thema Kundenanlage erhofft hat, wird enttäuscht. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die mit Spannung erwartete Urteilsbegründung des BGH, die sich auf Neuformulierungen im EnWG hätte auswirken können, erst auf den 03. Juli datiert. Die Urteilsbegründung indes zeigt dem geneigten Leser ebenfalls keinen konkreten Ausweg aus den aktuellen Unsicherheiten rund um die in ihrem Anwendungsbereich vermeintlich deutlich schrumpfende Kundenanlage.
Aus meiner Sicht wird es zukünftig, nach der aktuellen Rechtslage, tatsächlich zu einer Verengung bezüglich der Auslegung der Kundenanlage kommen müssen.
Selbst wenn es im weiteren Gesetzgebungsverfahren zum aktuell vorliegenden Entwurf noch zu Ergänzungen zur Kundenanlage kommen sollten, so werden auch diese voraussichtlich keine abschließende Klarheit bringen, wie wünschenswert diese auch immer wäre.
Am Ende muss daher wohl die Praxis in Zusammenarbeit mit der Regulierungsbehörde zeigen, wie viel uns von der klassischen Kundenanlage erhalten bleibt und welche belastbaren Regeln wir uns als Rechtsanwender aus dieser Praxis werden ableiten können, so dass zumindest jeder anliegende Einzelfall zukünftig schnell in der entsprechenden „Schublade“ landen kann.
Herzliche Grüße
Kai Steinkamp